Machtvoller Schein und scheinbare Macht.


Voll der Mond! Am Sonntag, den 9. Juli 2017 ist wieder Vollmond. Im Mondzeichen Steinbock. Wölfe heulen ihn an, Menschen fotografieren ihn gerne. Der Vollmond macht uns aggressiv und raubt uns den Schlaf. Viele Betroffene können bei Vollmond sogar im abgedunkelten Schlafzimmer nicht schlafen. Die einen machen kein Auge zu, die anderen wandeln im Schlaf durch die Gegend. Vollmondgeschichten kann jeder erzählen, doch die Wissenschaft steht vor einem Rätsel. Betroffene wissen es: Ich bin mondsüchtig.


Der Mond beeinflusst die Pflanzenkultur und die Gezeiten. Warum sollte er also nicht auch eine Wirkung auf unser Verhalten haben?

„Vollmond macht wahnsinnig". In vielen Sprachen besteht immer noch ein klarer sprachlicher Zusammenhang zwischen Mond (lateinisch „luna", die Mondgöttin) und Wahnsinn: englisch „lunacy" (Wahnsinn), italienisch „lunatico" (wahnsinnig), französisch: „avoir des lunes" (verrückt sein).

Im England des 18. Jahrhunderts gab es sogar in der Rechtsprechung einen klar definierten juristischen Unterschied zwischen einem „lunatic", der monatlich bei Vollmond durchdreht und einem „insane", der immer und hoffnungslos verrückt ist.

Anders als im Deutschen ist in vielen Sprachen der Mond weiblich und die Sonne männlich. Das Weibliche wird als lunar, subtil und wechselhaft empfunden. Das Männliche als ungestüm und direkt. Unsere Kultur hat sich in den vergangenen Jahrzehnten vom solaren zum lunaren Bewusstsein verschoben. Intuition, Geheimnis und Subtilität anstelle von Rationalismus und Hemmungslosigkeit.

Mond und Magie, das gehört schon von alters her zusammen. Geister tauchen wie jeder weiß um Mitternacht und bei Vollmond auf und nur in einer Vollmondnacht verwandeln sich harmlose Menschen in reißende Werwölfe. Die Nacht ist auch die Zeit der Hexen und Magier und ihre Göttin ist der Mond. Von ihm, den sie tellvertretend für die „dreifache Göttin", die Trinität von Artemis (zunehmender Mond), Selene (Vollmond) und Hektate (abnehmender und Neumond) anbeten, beziehen sie ihre magische Kraft, „sila" genannt. Am stärksten ist diese Kraft bei Vollmond. Die Wicca Hexengruppen rufen ihre Mitglieder heute wie damals in den Vollmondnächten des Jahres zusammen.

Die Karte „der Mond" wird oft als problematisch und negativ empfunden. Sie steht für eine schwierige emotionale und Angst auslösende Phase und erzeugt Unsicherheiten. Wir sehen zwei graue Türme auf der Karte, die an die Säulen der Hohepriesterin, die Sphinxen des Wagens und die angeketteten Wesen des Teufels erinnern. Der Mond fordert uns auf, über unsere Begrenzungen zu gehen und den Torweg der beiden Türme zu passieren. Dazwischen windet sich das Wasser des Unbewussten zu den Bergen des Höheren Bewusstseins. Keine Menschen sind auf der Karte abgebildet. Dort, wo Platz für sie wäre, sehen wir einen Hund und einen Wolf. Ein wildes und ein domestiziertes Tier. Der Mond weckt unsere animalischen Instinkte, die wir transformieren müssen. Zwischen ihnen kriecht ein Krebs aus dem Wasser. Er symbolisiert Gefühle und Ängste. Der Krebs ist nur halb aus dem Wasser aufgetaucht, wie  eine Urangst, die in uns hoch kriecht. Wir sollen uns diesen Ängsten stellen und sie mit unserer Intuition erfolgreich überwinden.

„Der Mond" liegt als mittlere Karte in der letzten Reihe der großen Arkana. Sie beginnt mit den Verstrickungen des Teufels, von denen man sich beim Turm mit Gewalt befreit. Darauf folgt die Zuversicht des Sterns. Nun führt der Weg aus der Tiefe wieder in die Welt. Verborgene Urängste kommen jetzt ans Tageslicht. Der
Mond zeigt uns diese schwierige Etappe der Heldenreise. Die Zahl XVIII wird u.a. als Zahl der Schwelle zum Licht beschrieben.


Früher war der Narr mit dem Mond durch das Motiv des Wahnsinns verbunden. Beide hausten im lunaren Halblicht der Verrücktheit. In manchen Legungen kann die Karte tatsächlich Wahnsinn bedeuten. Aber nur, wenn der Wahn ein Thema ist. Bei Menschen mit Gemütsschwankungen kann er auf Depressionen hinweisen. Durch die Schwerkraft regiert der Mond über Ebbe und Flut. Durch das Steigen und Fallen der Gezeiten, zusammen mit der Veränderung des Mondes vom Neumond zum Vollmond, ist der Mond eine Karte der Zyklen. Er kann für Situationen stehen, die wiederkehrend sind.

Mit freundlicher Genehmigung von Tatjana Potemkin stelle ich ihre Karte „Der erlöste Mond" über diesen Beitrag. Die Mondgöttin ist herab geschwebt und sitzt auf einem Hügel. Sie liebkost den Wolf, der auf ihrem Schoß ruht. Mit seinen Flügeln und dem Fischleib hat er sich zum liebenswerten Fabelwesen verwandelt. Er ist nun auch mit dem Krebs und seinen Gefühlen und Intuitionen verschmolzen. Die beiden Türme stehen klein und unscheinbar am Bildrand. Man muss sie nicht mehr passieren, um zu den Sternen zu gelangen. Der Weg führt direkt vom Wasser über das prächtige Gewand der Mondfrau ins Universum.

Ursula Dimper

www.tarot-was-raten-die-karten.de

www.tatjanapotemkin.de