Von Helga Hertkorn

Die Sensation! Ich interviewe eine Seejungfrau, die einen Kapitän zur See geheiratet hat. Auf die Frage wie es ihr gehe, sagte sie: Hervorragend. Ich liebe mein Leben und bin die glücklichste Frau der Welt.

 Nach den näheren Lebensumständen befragt, erfuhr ich, dass sie, wenn der Kapitän Landurlaub habe, bei ihm lebe und ansonsten im Meer. Auf kürzeren Seereisen begleite sie ihn auch gelegentlich, oftmals am Bug des Schiffes festgebunden. Sie hatten es auch in einem Netz im Schlepptau ausprobiert, ab da wurde es ihr der hohen Geschwindigkeit und des wirbelnden Wassers immer übel.

Ihre Essgewohnheiten habe sie so gut es ging beigehalten, ihrem Mann fiele die Anpassung in dem Punkt sehr viel leichter. Es gab öfters Fisch, Fleisch aß sie nie, dafür weigerte sich ihr Mann, den Fisch roh zu essen. An gewisse Gemüse habe sie sich gewöhnt. Schokolade, Kekse und Kuchen habe sie zwar probiert, aber sie bedeuteten ihr nichts. Nutella von Ferrero habe sie als geradezu ungenießbar empfunden, wahrscheinlich wegen des Nussgeschmacks. Nüsse im Allgemeinen waren ein No-Go für sie. Ihre Trinkgewohnheiten waren einfach, da sie nur Wasser vertrug, trank sie auch nur solches, immer ohne Zusatz von Kohlensäure. Kleidung war ihr lästig, Vergnügungen wie Disco und Tanzen ging sie aus dem Weg. Ihr Mann tanze auch nicht gerne, also passe es.

 Den Freunden ihres Mannes hörte sie bei Grillabenden gerne zu. Das verhalf ihr zweifelsohne zu einer großen Beliebtheit. Aus allen Gesprächen lernte sie die Welt der Menschen mehr und mehr kennen, aber es ermüdete sie auch entsprechend, und so verabschiedete sie sich immer früh. Das hatte auch den Grund, dass ihr aufgrund des Rauches die Augen brannten, der ihr überdies heftige Kopfschmerzen bereitete.

Ich glaube, ich war ganz schön neugierig, aber ich wollte ja auch etwas dazu schreiben können. Über ihre Herkunftsfamilie schwieg sie sich aus. Es war fast als habe sie plötzlich die Sprache verloren. Da kam es mir in den Sinn, dass sie ja immerhin sprechen konnte und, so viel ich mich erinnerte, war das bei der Meerjungfrau in Andersons Bericht nicht der Fall gewesen. Auf diese Frage bekam ich dann wiederum eine klare Antwort. Nie habe sie sich mit der bösen Meereshexe eingelassen. Sie habe ja auch noch ihren Schwanz und nicht zwei Beine stattdessen. Ihr Mann musste sie nehmen, so wie sie war. Das war von vorneherein klar. Mit anderen Dingen, vor allem den Kleinigkeiten im Alltäglichen, hatten sie gegenseitig viele Kompromisse geschlossen. Und daran hielten sie sich der Liebe wegen. Das war doch schön.

Da fiel mein Blick auf ihren kleinen, runden Bauch. Darauf angesprochen, lächelte sie stolz. „Ich bin im vierten Monat schwanger und freue mich sehr auf unser erstes Kind“, sagte sie versonnen lächelnd. Ein Mädchen wird wie ich teilweise im Meer leben, und einen Jungen schicken wir auf die Schule. Ich fragte nicht nach, was, wenn der Junge die Flosse und das Mädchen die Beine habe. Ich wollte sie nicht in Verlegenheit bringen. Sie war sich sicher, dass es nur ihrer Vorstellung entsprechend sein könne.

Wie sie ihr Kind zur Welt bringen wollte, beantwortete sie schmunzelnd mit: „Im Meer, natürlich.“ Die Badewanne im Kapitänshaus sei dafür wohl etwas zu klein, und einen Pool hätten sie nicht im Garten. Vielleicht einmal, wenn es mehrere Kinder gab.

Nun gut, diese Frage hatte ich eigentlich anders gemeint, wollte sie aber aus Gründen der Höflichkeit nicht weiter präzisieren. Entweder war sie eben doch naiv, oder sie hatte die Peinlichkeit geschickt umschifft. Ihrem glücklichen Lächeln konnte ich das nicht entnehmen. Sie hatte wirklich unglaublich schöne Augen.

The Fool aus dem Tarot der Mythen und Märchen von Yoshi Yoshitani
© www.irisiana.de, 2023 mit freundlicher Genehmigung

TAROT HEUTE · Ausgabe 88 - Oktober 2025 

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