Das Interview, das Kirsten Buchholzer mit Rachel Pollack führte, wurde 2009 in "Tarot Heute" veröffentlicht und heute nach bald 6 Jahren ist es immer noch aktuell.  

Bild: Rachel Pollacks "Tarot Weisheit" erschienen im Königsfurt Urania Verlag ISBN 978-3-86826-520-0. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Kirsten Buchholzer. Herausgegeben von Johannes Fiebig.

Überlegungen Kirsten zum Interview mit Rachel Pollack 

Überlegungen Kirsten: "Was fragt man eine Tarot-Expertin, die sich bereits in unzähligen Interviews und Büchern zu ihren Ansichten über Tarot, das Universum und den ganzen Rest geäußerst hat?“ Vor diese Frage sah ich mich gestellt, als ich mir Gedanken zu meinem bevorstehenden Gesprächstermin mit Rachel Pollack anlässlich des Tarot-Kongresses 2010 in Hamburg machte. Kennengelernt hatte ich Rachel bereits am Abend der Kongresseröffnung. Sie huschte verspätet in den Vortragssaal, um sich Regina von Hillebrandts spannenden Vortrag über Niki de Saint Phalle anzuhören. Ich übersetzte für sie und wurde dafür mit kleinen Anekdoten belohnt, die sie selbst gemeinsam mit der Künstlerin im Tarotgarten erlebt hatte. Vom ersten Moment an war ich von ihr beeindruckt: ohne Allüren, sehr warmherzig, unglaublich witzig und voller Wissen. Während des Vortrags, aber auch immer wieder später, beobachtete ich, wie sie mit einem sehr schönen Füllhalter (eine ihrer Sammlerleidenschaften), Notizen und Zeichnungen in ein rotes Tagebuch machte: Das nächste Tarotbuch arbeitet offensichtlich schon in ihr. Ihr aktueller Titel Tarot-Weisheiten ist letzten Herbst auf deutsch erschienen. Einige ihrer dort enthaltenen Thesen stellte sie auf dem Kongress vor.

Rachel Pollack hat sich nicht nur seit den frühen 1970ern mit Tarot beschäftigt, sie ist auch eine etablierte Künstlerin und preisgekrönte Autorin. Ihre Romane und Tarotbücher – derzeit 30 – wurden in 14 Sprachen übersetzt. Unter ihren 12 Werken über Tarot befindet sich Tarot – 78 Stufen der Weisheit – seit Jahrzehnten einer der bekanntesten und einflussreichsten Tarot-Titel, auch hier in Deutschland. Rachel hat außerdem einen eigenen Tarot, den Shining Tribe Tarot, kreiert.  Sie lebt und arbeitet im New Yorker Hudson Valley. Weitere Infos:  http://www.rachelpollack.com

„Also, welche Frage ist noch nicht an Rachel Pollack gestellt worden?“, überlegte ich auch noch, als ich ihr in einem Restaurant nahe dem Logenhaus mit gezücktem Stift gegenübersaß. Ihre Ansichten über Tarot sind schließlich klar dokumentiert – aber ich konnte mir gut vorstellen, dass sich unsere Leser besonders über Rachels Einstellung zur Vereinsarbeit interessieren würden. Also los zum Interview:

Kirsten: Liebe Rachel, habe ich deinem Vortrag hier auf dem Tarotkongress richtig entnommen, dass du uns Tarotisten (dies der Ausdruck, den Rachel bevorzugt) dazu ermutigst, uns weniger darum zu bekümmern, welchen Status wir innerhalb der Gesellschaft haben? Das, obwohl dies ein erklärtes Ziel nicht nur unserer Tarotvereinigung Tarot e.V. ist?

Rachel: Ja, das ist richtig. Aber dennoch eine schwierige Frage. Natürlich ist es wichtig, dass uns die Öffentlichkeit anerkennt. Gleichzeitig sollten wir aber auch stolz auf unsere Sonderstellung in der Gesellschaft sein, die wir beispielsweise mit Künstlern gemein haben. Wir sollten uns nicht nur darauf konzentrieren, was andere von uns denken, sondern unserer Kreativität und Einzigartigkeit mehr Raum geben. Sonst könnte unsere Zunft zu akademisch werden.

Kirsten: Ja, auch ich finde es sehr schwer, die Balance zwischen gesellschaftlicher Anerkennung und dem zu finden, was unseren Beruf so einzigartig macht.

Du bist ja selbst Mitglied zweier amerikanischer Tarotvereinigungen...

Rachel: ... Ja, der ATA – der American Tarot Association (www.ata-tarot.com) und der kalifornischen Daughters of Divination (www.dodivination.com). Dort halte ich aber keine besondere Funktion inne.

Kirsten: Und warum bist du ihnen beigetreten?

Rachel: Ich begegne sehr gern anderen Menschen. Besonders wir Kartenleger sollten uns stärker vernetzten.

Kirsten: Wenn ich amerikanische Bücher über Tarot lese, habe ich immer den Eindruck, dass in den Staaten das Kartenlegen genauso anerkannt ist wie zum Beispiel eine Therapie oder eine homöopathische Behandlung. Stimmt das?

Rachel: Eher nicht. Man geht zu Kartenlegern, aber das ist nicht gesellschaftsfähig. Das liegt aber sehr oft an den Kartenlegern selbst, die sich gern in Zigeuner-Wahrsager-Manier präsentieren. So erfüllen sie die Erwartungen des amerikanischen Durchschnittsbürgers. Die meisten Leute wollen eben nicht hören, warum sie Probleme mit ihrem Liebesleben haben und was sie dagegen tun können, sondern wann der nächste blauäugige Mann vor ihrer Tür stehen wird.

Kirsten: Ah, eigentlich wie hier bei uns in Deutschland. Bei euch ist Tarotkartenlegen als Beruf also auch nicht anerkannt?

Rachel: Nein, wir dürfen nur unsere Steuern zahlen. Aber das müssen auch Prostituierte, obwohl Prostitution illegal ist. Übrigens ist auch das Kartenlegen in einigen Staaten illegal, oder besser gesagt – Wahrsagerei und Flüche oder Spells verbreitet. Wenn ich meinen Beruf auf offiziellen Dokumenten angeben muss, schreibe ich “Schriftstellerin”, was ich ja aber auch bin.

Kirsten: Die Staaten bieten ein unglaubliches Angebot an Büchern über Tarot. Sind denn dort überhaupt auch deutsche Autoren bekannt?

Rachel: Hauptsächlich Hajo Banzhaf und dann Gerd Ziegler. Jedenfalls fallen mir jetzt keine anderen ein.

Kirsten: Hatten die beiden denn Einfluss auf die Tarot-Bewegung in den USA?

Rachel: Oh ja. Gerd Ziegler hat den Crowley-Harris-Tarot für die moderne Welt verständlich gemacht. Hajo Banzhaf hat uns die Reise des Helden sehr eindrücklich vermittelt.

Kirsten: Ich habe festgestellt, dass deine Tarot-Titel zumindest im Deutschen fast alle das Wort “Weisheit” im Titel tragen. In deinem neuen Buch stellst du dann auch noch eine Weisheitslegung vor. Was ist “Weisheit“ für dich?

Rachel: Eine gute Frage, aber sehr schwer zu beantworten. Teilweise geht es darum, das Leben zu verstehen, und dann zu begreifen, was spirituelle Wahrheit ist. Dazu gehört unter anderem, die diversen spirituellen Traditionen zu verstehen und zu respektieren. Zu akzeptieren, dass sie nach denselben Geheimnissen, denselben spirituellen Erkenntnissen streben und sie in wundervoller Weise ausdrücken: in Geschichten, Symbolen, Lehren, Gedanken – die internationale Tradition der Weisheit. Ach – der Roman, an dem ich gerade arbeite, heißt übrigens Coragous Wisdom – Mutige Weisheit.

Kirsten: Deine letztes Buch heißt Tarot of Perfektion – Tarot der Perfektion. In deinem Vortrag hast du aber großen Wert darauf gelegt, dass ein eben keinen perfekten Tarot gibt.

Rachel: In dieser Geschichte geht es um einen sehr intellektuellen Man, der eine Kartenlegerin auf dem Jahrmarkt trifft und denkt – was für tolle Karten, bloß die dumme Frau weiß nicht, was sie damit macht. Ich werde das Geheimnis lösen, das hinter ihnen verborgen ist. Er löst es auch, aber danach fühlt er sich völlig leer.

Kirsten: Und wann erscheint dein nächstes Buch über den Tarot?

Rachel: Derzeit ist nichts geplant, aber es wird sicher ein weiteres geben, Tarot-Weisheiten war ein so unglaubliches Projekt, ich wüsste derzeit nicht was ich noch schreiben soll. Das Problem mit Tarotbüchern ist auch, dass der Markt nur Legegebrauchsanweisungen will. Die Leute wollen Erklärungen für die Kartenbedeutungen, alles andere verkauft sich nur mäßig.Einige Autoren fangen wieder damit an, ihre Bücher via Subskription zu veröffentlichen. Ich denke auch darüber nach. Man könnte die einzelnen Kapitel herrlich reproduzieren. Das könnte sehr schön werde.

Kirsten: Du redest und schreibst sehr viel über die Göttin und organisierst Reisen zu heilige Stätten in Griechenland, besonders die der Demeter. Wann hast du dich zum ersten Mal für sie interessiert?

Rachel: Wie viele andere Frauen begann ich damit in den 1970/80. Ich las damals viel über das Matriarchat und dachte, es sei alles eine Travestie darüber, wie sich die Menschen das Leben damals vorstellten. Doch je mehr ich las, umso wahrscheinlicher erschien es mir. Die Recherchen wurden zu einer meiner größten Leidenschaften.

Kirsten: Du nennst neben dem Tarotkarten legen das Pokern als eine deiner Leidenschaften – wie hängen die beiden – Glücksspiel und Kartenlegen – für dich zusammen?

Rachel: Die Menschen wollen immer gern Kontrolle abgeben. Hier sehe ich die Verbindung zwischen Kartenspielen und Divination. Beide haben mit Zocken zu tun: Wenn wir in die Zukunft schauen, bekommen wir oft mehr, als wir haben wollten.

Außerdem sollte, wie ich in meinem Vortrag ausgeführt habe, der spielerische Aspekt der Divination wieder mehr betont werden.

Kirsten: Du schreibst alle deine Bücher stets per Hand von Anfang bis Ende mit einem wertvollen Füllhalter (sie sammelt Füllhalter). Für mich ist das ein wirklich magischer Akt. Ich frage mich, ob du dich als Schriftstellerin mit dem Magier identifizierst?

Rachel: Ich nenne Hermes manchmal meinen Bruder und fühle mich mit ihm verbunden. Er ist einer der ersten männlichen Gottheiten gewesen, die mir nahe standen. Göttinnen sind mir immer näher.

Kirsten (auf Rachels Amulett deutend): Du trägst eine Göttin um deinen Hals – wer ist das?

Rachel: Oh, das ist Demeter und auf der anderen Seite ist Apoll zu sehen, ein weiterer Gott, der mir sehr wichtig ist.

Kirsten: Du gibst als deine Hobbies unter andere, Reisen und Schreiben an – ich frage mich, ob das Schreiben eines Buches wie Tarot-Weisheiten für dich einer Reise – einer Narrenreisen – glich.

Rachel: Ja sehr, besonders weil der Narr reisen kann wie er will, von der 2 zur 9 zur 3. Und genau so bin ich gereist – ein wenig wie Margarete Petersen, nur nicht so lange. Gleichzeitig muss ich per Hand von Anfang bis schreiben. Bei Tarotbüchern ist das schwer, man muss sich oft wiederholen, weil die Leser ein Buch nicht von vorne bis hinten lesen, sondern immer mal wieder etwas nachschlagen.

Kirsten: Du sagst, du interessierst dich sehr für Politik. Gleichzeitig magst du den Herrscher nicht, den man sich gut als führenden Politiker vorstellen könnte. Wer wäre denn dein Traumpolitiker im Tarot?

Rachel: Ui, interessante Frage - ich denke der Eremit, weil er Menschen Erleuchtung bringen kann und gleichzeitig bei sich bleibt – was auch ein guter Politiker tun sollte.

Kirsten: Liebe Rachel, vielen Dank für dieses spannende Interview.

Rachel: Danke, das hat Spaß gemacht! ich bin Löwe, ich liebe es, über mich selbst zu reden.